Wikipedia von innen – Teil 2

Vielleicht war ich vorhin zu optimistisch. Wenn man sich ein wenig länger in der Wikipedia umschaut, beginnt man sich zu ärgern. Warum? Weil sich da ein gewisses Muster abzeichnet. Es besteht darin, dass oberflächliche, falsche, teils sogar verleumderische Zuweisungen zur Wahrheit erklärt werden.

Beispiel 1: Der Artikel über Chögyam Trungpa. Ich habe nichts dagegen, dass da was über Alkohol, Sex mit Schülerinnen und das Geheimhalten der HIV-Infektion des Regenten Ösel Tendzin steht, denn das stimmt ja alles. Aber wenn man dann Diskussionsbeiträge dazu liest, in denen verleumderische Zeitungsberichte über unfundierte Vergewaltigungsvorwürfe als Quelle zitiert, ja sogar (glücklicherweise derzeit vergeblich) in den Artikel hineinreklamiert werden, dann kommt einem doch das, naihrwisstschonwas, …

Beispiel 2: Der Artikel über Thomas Mann. Ellenlang und voll des Lobes (das auch nicht referenziert ist, in vielen Punkten). Jetzt müsste man sich hinsetzen und zumindest einen Punkt einfügen, in dem davon gesprochen wird, dass Thomas Mann nicht nur vom US-Kongress als einen der wichtigsten Stalin-Apologeten bezeichnet wurde, sondern dass er das auch wirklich war. Friedrich Torberg hat das ausführlich dokumentiert. Und er hat darauf hingewiesen, dass die Perfidie gerade darin bestand, dass es viel wirkungsvoller ist, wenn einer sagt: „Ich bin kein Kommunist, sage aber dennoch…“, als wenn einer sagt: „Ich bin Kommunist und sage deshalb…“. Genau das hat Th. Mann getan. Sein Verhältnis zur Politik war überhaupt katastrophal: Zunächst einmal war er gegen die Demokratie. Dann hat er versucht, sich mit den Nazis zu arrangieren, noch nachdem die Bücher seines Bruders Heinrich und seines Sohnes Klaus schon verbrannt waren (die Bücher Thomas Manns waren wohlweislich geschont worden, weil die Nazis ihrerseits hofften, ihn auf ihre Seite ziehen zu können). Erst sehr spät, als ihm klar wurde, dass ein solches Arrangement nicht möglich ist, bezog er erstmals öffentlich gegen Hitler Stellung.
Und kaum war er in den USA, begann er, mit dem anderen Totalitarismus, dem Kommunismus, zu sympathisieren, wie auch andere, die zwar im sicheren Amerika saßen, aber gleichzeitig Stalin die Stange hielten: Bert Brecht, Jakob Wassermann, Berthold Viertel und viele mehr. Es ist kein Wunder, dass es ihm irgendwann in der McCarthy-Zeit in den USA zu ungemütlich wurde. Das wird sogar in der Wikipedia so dargestellt (wenngleich dort natürlich alle Schuld bei den Amis liegt).
Also ging er nach Europa, ließ sich in der Schweiz nieder, besuchte Ostdeutschland und sonderte Zitate ab wie: „Die Ablehnung des Kommunismus ist die größte Torheit unserer Zeit.“ Bravo, kann man da nur sagen, und es ist zum Ihrwisstschonwas…

Alles in allem kriegt man das Gefühl, dass auch in der Wikipedia einige wie Spinnen im Netz sitzen, sich einen gewissen Status erobert haben, den sie verteidigen und dazu benützen, gewisse Dinge durchzuboxen oder zu verhindern. Kein Wunder, ist halt wie überall.

46 Jahre

Es mag ja banal klingen, aber ich mache mir Gedanken über den Rest meines Lebens, und das hat vielleicht auch damit zu tun, dass sich morgen schon wieder ein Lebensjahr vollendet: Ich werde 46.

Und aus diesem Grund blogge ich jetzt so vor mich hin. Ich glaube ja nicht, dass so ein Blog wirklich gelesen wird, denn es gibt derartig viele davon (und die meisten sind blökender Schwachsinn), dass es ja reiner Zufall sein müsste, wenn man gerade auf meinen stoßen würde. Zufall, oder eben eine Kombination von Schlüsselwörtern, die jemand in eine Suchmaschine eingibt, nachdem die Crawler einmal drübergekrochen sind, über meine Beiträge.

Da mich niemand zwingen kann, hier systematisch vorzugehen, springe ich jetzt ein wenig von einem Gedanken zum anderen. Ein — wenn nicht DAS — Leitmotiv dieses Blogs ist unabhängiges Denken, also etwas, wofür man anderswo eher bestraft als belohnt wird.

Mit der Zeit beginnt man zu bemerken, wie viele Menschen ein mehr oder weniger offensichtliches Kastel in ihrem Hirn haben. Und die Dinge, die in diesem Kastel (es können auch mehrere sein) liegen, die gehören dorthin, die werden nicht hinterfragt, die liegen an ihrem Platz wie das Besteck und der Dosenöffner in der Küchenlade. Ab und zu nimmt man sie vielleicht heraus, dann werden sie abgewaschen und wieder hineingestellt. Aber ob sie überhaupt in diese Lade gehören und ob man diese Lade eigentlich haben muss, das wird schon aus Bequemlichkeit nicht gefragt.

Ich will die Metapher nicht überstrapazieren. Aber ich nenne Beispiele: Ein Beispiel, das mir sehr am Herzen liegt, ist das Thema Demokratie versus Totalitarismus. Dazu gibt es, als eine Art Überblicksinformation, einen ganz guten Artikel in der deutschen Wikipedia:

Zum Artikel hier klicken

Ich meine, dass die Kritik an der Gleichsetzung von Stalinismus und Nationalsozialismus in ihrem Kern substanzlos und daher wertlos ist. Ich halte es da ganz mit Hannah Arendt, die Nationalsozialismus und Stalinismus als „Variationen des gleichen Modells“ bezeichnet, ich meine: völlig zurecht.

Das Problem ist nur, dass die ja schon seit den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts massiv in den Westen dringende und sehr bewusst gesteuerte kommunistische Propaganda sich offenbar tief in die Hirne ganzer Generationen von westlichen Intellektuellen (und solchen, die es werden wollen) gegraben hat. Und das führt bis heute dazu, dass den meisten dieser Leute unmittelbar klar ist, dass der Nazistaat böse war und dass man alles tun muss, um das neuerliche Vordringen rechtsextremer Kräfte hierzulande und überhaupt zu verhindern. So weit einverstanden.

Was diesen Leuten hingegen nicht bewusst und überhaupt nicht klar ist: dass der Sowjetstaat genauso böse war. Wenn ich etwa lese, dass zwischen 1928 und 1937 unter Stalin mehr als 10 Millionen Menschen, die sogenannten Kulaken (das waren de facto Leute, die ein paar Kühe, Pferde oder Schafe besaßen), entweder gleich ermordet oder in die Gulags deportiert wurden, dann frage ich mich wirklich, inwiefern das auf einer höheren moralischen Stufe stehen soll als der Holocaust. (Für jene, die was nachschlagen wollen, seien die Wikipedia-Artikel zu den Begriffen Demozid und Holodomor empfohlen, einfach draufklicken.)

Damit will ich nicht zu den Leuten gehören, die versuchen, den Holocaust, den systematischen, industriellen Mord an sechs Millionen Menschen (bekanntlich vor allem Juden, aber in geringerer Zahl z.B. auch Sinti und Roma) in irgendeiner Weise zu relativieren. Das ist ja eine beliebte Strategie, die von allen möglichen Seiten (und im Falle des Holocaust natürlich in erster Linie von Rechtsradikalen, Neonazis und derlei Gelichter) gepflogen wird: Wenn es da also heißt, die Deutschen haben unter der Naziherrschaft die Juden vernichtet, dann kommt man mit dem Argument: „Ja, aber Stalin war ja auch böse!“ Das nenne ich Aufrechnen von Opfern, eine Vorgangsweise, die ich striktest ablehne.

Das kann allerdings nicht bedeuten, dass es im Umkehrschluss nicht erlaubt wäre, über die Opfer Stalins zu sprechen. Nur aufrechnen soll man nicht. (Es ist letztlich auch nichts damit gewonnen, wenn man darauf hinweist, dass dem stalinistischen Morden deutlich mehr Menschen zum Opfer gefallen sind als dem Holocaust.) Man sollte vielmehr daraus nur einen Schluss ziehen: dass jegliche Diktatur, und schon erst recht jegliche totalitäre Diktatur (nicht jede Diktatur ist totalitär, aber jede Diktatur ist abzulehnen, weil sie jedenfalls ein Unrechtssystem darstellt und außerdem im Prinzip jederzeit totalitär werden kann) mit gleicher Vehemenz abzulehnen ist. Das ist kein Aufrechnen, das ist auch kein Vermischen von Begriffen, aber ich meine doch, für das einzelne Opfer war es ziemlich egal, ob es in Auschwitz oder im Gulag zu Tode kam oder ob es von der Gestapo oder vom KGB gefoltert wurde. Bzw. im Namen der Rasse oder im Namen der Klasse.

Man kann übrigens auch ohne langes Studium von verschiedenen Theorien des Totalitarismus einen einfachen Schluss ziehen: sowohl Nationalsozialismus als auch Kommunismus/Stalinismus wollen eine „neue Gesellschaft“ und als deren Grundlage einen „neuen Menschen“ schaffen. Das ist bekanntlich unmöglich. Es mag möglich sein, die Gesellschaft langsam zu verändern, aber der Fehler den beide Ideologien machen, ist, die menschliche Natur zu verkennen oder zu verleugnen. Menschen können auf die Dauer unter keinem Führer glücklich werden, ob rot oder braun, ob Hitler oder Stalin. Und „neue Menschen“ sind leider allzu oft nur das, was von den „alten Menschen“ nach Jahren von Folter, Mord, Unterdrückung und Versklavung übrigbleibt.

Aber viele, viele hier in westlichen Ländern sind auf einem Auge blind. Sie sehen den Naziterror, aber sie sehen den kommunistischen Terror nicht. Sie denken an Auschwitz, aber sie denken nicht an Pol Pot. Sie denken z.B. auch nicht an Tibet, in dem bis heute Arbeits- und Folterlager existieren, in dem mindestens eine Million Menschen umgebracht und mindestens genau so viele versklavt wurden seit der völkerrechtswidrigen Annexion Tibets durch die chinesisch-kommunistische Armee.

Nein, das alles sehen Sie nicht, was Sie sehen ist nur das böse Amerika, ist nur Guantanamo, ist nur Dablju Bush, ist nur Abu Ghraib, ist nur der Irak und Afghanistan. Ich gebe gern zu, dass auch die Analyse dessen, was die USA falsch machen (und gemacht haben), ein durchaus lohnendes Unterfangen wäre. Aber eines möchte ich doch schon an dieser Stelle festhalten: Die USA sind eine Demokratie und keine Diktatur, schon gar keine totalitäre. Auch hier höre ich die Linksverbinder schon aufschreien: von Mord und Totschlag, den die Amis über diverse Länder gebracht haben, von den vielen Toten, die der Kapitalismus angeblich oder wirklich verursacht hat und weiter verursacht, und so weiter halt.

Wobei das ja nicht alles falsch ist. Wollte ich das behaupten, so wäre ich ja um nichts besser als jene Kastldenker, die ich am Anfang dieses Eintrags — aus Überzeugung! — verunglimpft habe. Aber man kann nun einmal nicht leugnen, dass die USA eine Demokratie sind, eine seltsame vielleicht, aber eben doch eine Demokratie. Das zeigt sich unter anderem darin, dass der grausliche Dablju im nächsten Jänner endgültig Geschichte sein wird, ob er will oder nicht. Von Fidel Castro kann man das nicht behaupten…

Und so schließt sich denn der Kreis: Die Feinde meiner Feinde sind, eben nicht notwendigerweise meine Freunde. Differenzierung tut not, aber ebenso not tut klare Sicht und klares Aussprechen von Fakten, die gerade in Westeuropa durch anhaltende Propagandavernebelung vieler Gehirne immer noch verdreht oder verleugnet werden.

Und so ist denn, während ich diesen Satz schreibe, gerade Mitternacht, und somit beginnt mein Geburtstag, und ich bin 46. Das allein war doch vielleicht diese Abhandlung wert.