Impfpflicht und Schulbesuch, und was das alles mit Logik zu tun hat

Irgendwer, angeblich waren’s die Neos, soll es gewagt haben, den Vorschlag einer Impfpflicht zu machen. Wenigstens für Masern, wenigstens für Schulkinder. Na, mehr haben sie nicht gebraucht. Ein willkommener Anlass für Impfgegner und andere intellektuell herausgeforderte Menschen, um auf die von ihnen selbst errichteten Barrikaden zu steigen.

Leider gehört zu dieser Gruppe auch Susanne Jerusalem, Grünpolitikerin im Ruhestand, die seit einiger Zeit Facebook unsicher macht. Und die bis vor ca. einer Stunde auch zu meinen FB-Freundinnen zählte, bis es mir zu blöd wurde, die gleichen Argumente zehnmal und öfter zu wiederholen. Sie hat sie trotzdem nicht verstanden. Einmal schreib ich das noch auf, dann kann’s ja jeder nachlesen, der will, oder jede, die nicht will.

Also: Das Jerusalemsche Argument, das ja im ersten Moment überzeugend klingt, lautet: „Jedes Kind darf eine öffentliche Schule besuchen.“ Ja, eh, möchte man sagen. Was sie damit aber eigentlich meint, ist: Es darf deshalb keine Impfpflicht geben, weil diese ja ungeimpfte Kinder vom Schulbesuch ausschließen würde. Und, jetzt wird’s interessant: Das Kind habe ein Recht auf den Schulbesuch, unabhängig davon, was seine Eltern (in dem Fall über die Masernimpfung) denken.

Was die Frau Jerusalem nicht versteht, ist, dass nicht nur die ungeimpften Kinder Rechte haben, auch die anderen Kinder haben welche. Zum Beispiel das Recht, nicht von einem ungeimpften Kind mit Masern angesteckt zu werden. Wie ja überhaupt die ganze Impferei nicht eines, sondern zwei Ziele verfolgt. Das eine ist natürlich der Individualschutz, das andere aber ist der Schutz der Gemeinschaft. Im Fall der Masern bedeutet das: Wir brauchen eine Durchimpfungsrate von 95%, dann ist keine Masernübertragung mehr möglich. Und nicht nur das: Man könnte die Masern, so wie die Pocken, sogar ausrotten, weil der Mensch das einzige Virusreservoir ist. Nur leider ist die Durchimpfungsrate in Österreich derzeit unter 90%, und das ist eigentlich ein Skandal, der nicht zuletzt auf das Konto von Leuten wie Susanne Jerusalem geht.

Und wenn sie sagt, dass ein Kind das Recht auf Schulbesuch hat, unabhängig davon, was sich seine Eltern denken, dann hat das Kind auch ein Recht auf Gesundheit (und damit auf Impfung), egal was sich seine Eltern denken. Aber so weit reicht’s halt schon wieder nicht bei der Jerusalem.

Meiner Meinung nach lässt sich das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das in diversen Verfassungen und Menschenrechtskonventionen enthalten ist, durchaus so auslegen, dass es zu Impfungen geradezu verpflichtet. Sicher lässt sich erbsenzählerisch argumentieren, dass auch ein Stich mit einer dünnen Nadel die körperliche Unversehrtheit verletzt. Aber sicher nicht so wie eine Masernerkrankung.

Masern sind nicht harmlos. In ca. 30% der Fälle treten eine oder mehrere Komplikationen auf. Das fängt mit noch vergleichsweise harmlosen Dingen wie Durchfall und Mittelohrentzündung an, geht weiter zur Lungenentzündung, die bei ca. 6% auftritt, und hin zu den ganz schweren neurologischen Komplikationen. Immerhin entwickelt einer von 1.000 Masernkranken eine Enzephalitis, also eine Entzündung der Gehirnsubstanz. Von denen, die das kriegen, sterben 15% und weitere 25% haben bleibende Folgeschäden.

Eine akute, disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) tritt nach Masern ebenfalls bei einem von 1.000 Erkrankten auf. 10 bis 20% der Betroffenen sterben. Die Überlebenden haben zumeist neurologische Dauerschäden wie Verhaltensstörungen, mentale Retardation oder Epilepsie.

Und schließlich gibt es noch etwas ganz Fürchterliches: die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE). Die Fallzahl dürfte bei etwa 1: 2 Millionen liegen, also zum Glück selten. Nach Impfung ist noch nie SSPE aufgetreten. Es handelt sich dabei um eine immer tödliche Masernfolge. Das Heimtückische ist, dass sie Jahre (meist sieben bis zehn. und bis zu 20) nach durchgemachter Maserninfektion auftritt. Die Betroffenen siechen Monate lang dahin, es gibt keinerlei Therapie, alle sterben schließlich.

Es gibt dann noch kardiale Komplikationen von Masern, und blind werden kann man auch davon. All das ist durch einen simplen Stich (eigentlich zwei, denn die Impfung muss einmal aufgefrischt werden) zu vermeiden.

Und ich meine, dass hier eine Impfpflicht für Schulkinder (und auch schon für den Kindergarten) gar kein Fehler wäre, auch wenn man Gesetze dafür ändern müsste. Das sollte wohl das geringste Problem sein. Was hiermit auch der Frau Jerusalem und allen fundamentalistischen Impfgegnern und -Innen ins Stammbuch geschrieben sei.

Friedrich Gulda

Ich stelle fest, dass es „Suite 101“ seit 2014 nicht mehr gibt. Content gelöscht, alles weg. Wer wissen will, was das war, kann es hier nachlesen. Aber zum Glück habe ich mir ja die Beiträge, die ich damals für die Suite geschrieben habe, aufgehoben. Und ich sehe keinen Grund, sie nicht hier zu veröffentlichen. Also: Tribute to Friedrich Gulda.

Das Klavier als Weltregierung – Hommage an Friedrich Gulda

Friedrich Gulda hätte sich auf den Lorbeeren seines frühen Erfolgs ausruhen können.  Stattdessen ging er neue Wege – Eindrücke von einem tollen Konzert.

Im Stadtsaal Tulln fand am 8. Oktober 2010 im Rahmen des „Jeunesse“-Zyklus ein außergewöhnliches Konzert statt – „A Tribute to Friedrich Gulda“ war Titel, Motto und Programm zugleich. Und was für ein Tribut!

Gestaltet hat das Programm Paul Gulda, längst nicht mehr (oder eigentlich nie) bloß Sohn des großen Friedrich, sondern eigenständiger, und eigenständig erfolgreicher Pianist und Komponist (und nebenbei einer der auch politisch wachen und sich artikulierenden Menschen in diesem Land – an dieser Stelle muss das Stichwort „Rechnitz“ genügen).

Tribut gebührt hier auch MMag. Gottfried Zawichowski, dem langjährigen Jeunesse-Organisator in Tulln, ohne dessen Einsatz wohl vieles nicht möglich gewesen wäre.

Doch zunächst ein wenig Information über den Geehrten.

Wer war Friedrich Gulda?

Friedrich Gulda wurde am 16. Mai 1930 in Wien geboren und begann im Alter von sieben Jahren mit dem Klavierspiel. Man sagt ihm ein absolutes Gehör und ein außergewöhnliches (vielleicht sogar photographisches) Gedächtnis nach, das ihn befähigt haben soll, die Partitur eines ihm vorher nicht bekannten Klavierstücks nach wenigen Minuten des Anschauens auswendig zu spielen. Außergewöhnliche Musikalität und Begabung muss er jedenfalls besessen haben, denn schon neun Jahre später, also mit 16, gewann er den Internationalen Musikwettbewerb in Genf. „Und danach konnte er sich aussuchen, was und wo er spielen wollte“, wie sein Sohn Paul bei der launigen Conference bemerkte, die durch das Tullner Konzert führte – ein Privileg, das zweifellos nicht viele 16-jährige Musiker besitzen.

Einer – ebenfalls durch seinen Sohn Paul verbürgten – Anekdote zufolge soll sich Friedrich Gulda irgendwann um diese Zeit entschlossen haben, von der Schule abzugehen, weil seine Karriere als Musiker ihn voll in Anspruch nahm. Und das ging so: Er zeigte eines Tages im Gymnasium auf und bat den Lehrer, aufs Klo gehen zu dürfen. Der erlaubte das – und Friedrich kam nie zurück.

Ruhm und Kontroversen

Auf frühen Bildern sieht man Friedrich Gulda noch im Anzug, schön brav am Klavier sitzend, doch damit war bald Schluss. Es war ihm klar, dass er mehr wollte als Reproduzieren: Er wollte ein schöpferischer Künstler sein. Doch wo anknüpfen? Die spätromantische Tradition Gustav Mahlers, die er durch seinen Kompositionslehrer Joseph Marx sehr direkt kennengelernt hatte, lehnte er als „Bye-Bye-Musik“ ab; das sei nichts anderes als ein Abgesang auf das 19. Jahrhundert. Aber auch die Nachfolger Schönbergs oder gar jene von Franz Liszt hatten ihm wenig zu sagen. Und so gab es nur eines: die lebendige, rhythmische, faszinierende Welt des Jazz. Da hatte allerdings auch ein Friedrich Gulda noch einiges zu lernen.

Am Beginn dieses langen Weges – und hier spannt sich der Bogen zurück zum Konzert – stand eine höchst originelle Komposition, die auf ein höchst originelles literarisches Sujet zurückgreift: „Die Galgenlieder“ von Christian Morgenstern.

Von Bach bis Berauer

Doch das Konzert begann klassisch, oder besser gesagt: barock. Paul Gulda spielte zunächst das Präludium in Cis-Moll aus dem Wohltemperierten Klavier. Es folgte die dazugehörige Fuge, diese jedoch (von Paul Gulda und Rainer Nova) bearbeitet für das bereits fast vollständig anwesende Ensemble. Und dieses soll hier für seine ausgezeichnete Leistung (und für die Freude, mit der es sie erbrachte) gewürdigt werden: Hubert Kerschbaumer und Christian Kronreif an der Klarinette (aber auch gelegentlich am Saxophon), Alois Eberl an der Posaune, Bettina Gradinger an der Ersten Geige, Ingrid Sweeney an der Violine, Sabine Nova an der Viola, Reinhard Latzko am Cello, Tommaso Huber und Lukas Kranzlbinder am Kontrabass, Rainer Nova am Cembalo, Andreas Lettner am Schlagzeug.

Es folgte die von Friedrich Gulda oft gespielte Fantasie in C-Moll vom „Göttlichen Weltmeister“ (O-Ton F. Gulda: „Wöhdmaasda“) Wolfgang Amadeus Mozart. Gerade dabei hörte man, nebst Paul Guldas pianistischem Können, auch die traurige Tatsache, dass der Steinway-Flügel, der nachweislich noch am selben Tag um 14h gestimmt worden war, diese Stimmung bis 20h nicht so ganz halten konnte…

Danach drei Lieder aus verschiedenen Liederzyklen Gustav Mahlers. Und damit der Auftritt der wunderbaren Sängerin Agnes Heginger, die mit Kraft und Pathos, aber auch Finesse und Ironie – und all das immer genau in der richtigen Mischung – „Ging heut morgen übers Feld“ und „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ sang – letzteres übrigens ein Zustand, der in verschiedenen Lebensphasen auch auf Friedrich Gulda zutraf.

Ein ungewöhnlicher Gast

Beim dritten Mahler-Lied („Lob des hohen Verstands“) trat dann noch einer auf die Bühne, den man eher aus verschiedenen anderen Kontexten kannte – Willi Resetarits. Ja, genau, jener Mann, der als „Ostbahn-Kurti“ weit über Österreichs Grenzen hinaus Karriere machte. Der zwar über keine klassische Gesangsausbildung verfügt, aber dennoch jeden Ton trifft und nicht nur das: Selbst wenn er nur stumm dabei steht, spielt er mit. Mit urwüchsigem Komödiantentalent wird jeder seiner Gesichtszüge, jede seiner Bewegungen zu einem genial dazuimprovisierten Teil der Aufführung. Und wenn er dann singt, im Duett oder in der Wechselrede mit Agnes Heginger, dann entsteht da etwas, dann entsteht da Energie, Knistern, Freude, die nur aus jenem Einverständnis kommen kann, das zwei musikalische Vollprofis – wenn auch aus etwas unterschiedlichen Gebieten – ganz von selbst verbindet.

Der zweite Teil…

steht dann ganz im Zeichen des Zwiegesangs. Und hier ist noch ein Name nachzutragen: Johannes Berauer, ein großartiger junger Komponist, der bereits das letzte Mahler-Lied arrangiert und die am Beginn des zweiten Teils folgenden drei Morgenstern-Lieder („Das Butterbrotpapier“, „Die Mitternachtsmaus“ und „Der Sperling und das Känguru“) vertont hat und auch selbst leitete. Da wird’s dann richtig turbulent und lustig: die Sänger kreischen, brummen, krächzen, quieksen (ohne im Geringsten an stimmlichem Niveau zu verlieren), und ähnliches tun auch die Instrumente: die Klarinetten zwitschern, die Saxophone quäken, die Posaune keppelt und das Schlagzeug setzt Akzente. Zwischendurch säuselt eine kleine oder eine Bassblockflöte, geblasen von Paul Gulda.

Den Schluss bildet eine Komposition Friedrich Guldas selbst: „Sieben Galgenlieder“. Und hier geschieht etwas, was Friedrich Gulda sicher gefallen hätte: Die Chose hebt sich sozusagen vom Boden, beginnt zu swingen, die Bühne wird zur Welt und das Klavier zum Regierungssitz – von dem der Regierende (weiland Friedrich und jetzt Paul) gelegentlich aufhüpft, um sich als Sänger, Flötenspieler oder sonstwas zu betätigen. Morgensterns Worte tun das Ihrige, und am Schluss hat man Tränen in den Augen, die vom Lachen stammen – aber nicht nur. Vielen Dank.

Auf ein Neues

Ich freue mich, hier (wahrscheinlich zunächst einmal nur mir selbst) verkünden zu dürfen, dass ich wieder blogge. Die Beiträge, die in diesem Blog stehen, sind alt, wie man sieht, ich habe sie aus zwei älteren Blogversionen importiert.

Das Titelbild mag sich ändern. Dem Titel gemäß möchte ich eigentlich ein Bild der Strudlhofstiege haben, aber ich weiß noch nicht, ob ich es kriege. Derzeit sieht man hier den Innenhof von Schloss Drosendorf – einer der schönsten Orte, die ich kenne. Und das ist ja auch kein Fehler.

Dieser Blog ist Work in Progress, versteht sich. Wahrscheinlich muss ich die Zahl der Kategorien ändern, manche davon in Schlagwörter verwandeln, aber all das braucht Zeit. Immerhin: ein neuer Anfang ist gemacht.