Und es geht munter weiter – eine Replik an Pipifax

Schon interessant. Der wunderliche Fritz schweigt, während der Pipifax weiterpostet. Ich werde den Verdacht nicht los, dass das ein und derselbe Mensch ist. Oder kann es wirklich zwei geben, die so ähnlich, stur und aggressiv argumentieren?

Aber gut, was sagt er denn (ich fasse hier die beiden Postings von gestern zusammen, da sie ja fortlaufend geschrieben sind; immerhin war er so intelligent, den zweiten vor dem ersten abzuschicken, damit man es von oben nach unten lesen kann; Orthographie und Kleinschreibung naturbelassen):

oje, ich soll sie gepruegelt haben? wenn sie erklaerungen, warum man etwas durchaus als anlehnen an antisemitische strategien verstehen kann, als „pruegel“ empfinden, dann sind sie allerdings etwas gar empfindlich. sie haben im uebrigen auf solche argumente in ihren texten *gar* nicht reagiert … vielleicht nicht ganz zufaellig. lieber stellen sie sich als armes opfer dar, obwohl sie a) tatsachen verdreht haben; b) selbst nach dem nachweis, das dies der fall war, auch weiterhin der betreffenden person ein naheverhaeltnis zum tatsaechlichen entwickler unterstellt haben, c) nicht den unterschied zwischen der (moralisch durchaus verwerflichen) entwicklung von chemischen substanzen, die auch zur vernichtung von menschen dienen koennen und der ideologisch-wissenschaftlichen unterfuetterung von eugenisch und rassistisch motiviertem massenmord unterscheiden koennen.
darueber verlieren sie kein wort. ueberfordert sie dies intellektuell?
bieten in ihrem blog ausser empoerung recht wenig inhaltliches. und merken nicht einmal, dass sie wieder rhetorische strategien anwenden, die typisch fuer bestimmte lager sind (etwa: „zu meinen besten freunden zaehlen …,“
ein wenig selbstreflexion wuerde nicht schaden. und sich nicht so wichtig nehmen … v.a. wenn’s ums standard-forum geht.

Also, schön der Reihe nach. Zu den „Erklärungen, warum man etwas durchaus als Anlehnen an antisemitische Strategien verstehen kann“ möchte ich zunächst einmal bemerken, dass diese Erklärungen eben nicht als Erklärungen daherkamen, sondern als massive Denunziation meiner Person als Antisemit, Rechtsradikaler und Revisionist.

Darüber hinaus ist es ja nicht wahr, dass ich auf dieses Argument nicht reagiert hätte. Ich bin der LETZTE, der irgendeiner rechtsradikalen, holocaustleugnenden oder auch nur -relativierenden Argumentation das Wort redet oder sie stützt. Ich gebe auch zu, dass ich den Fehler zu behaupten, Fritz Haber wäre direkt der Entwickler von Zyklon B gewesen, nicht hätte machen sollen. Das ist allerdings bei Fehlern meistens so. Man hat mich darauf aufmerksam gemacht, ich habe das widerrufen, nur ist dieser Widerruf mitsamt allem anderen (inklusive meinem damaligen Postingnamen „jemenfous“) gelöscht worden. Aufgrund der Intervention der Herren Wunderlich oder Pipifax, die sich damit nicht unbedingt einen Dienst erwiesen haben, denn die Aufklärung dieser Missverständnisse hätte durchaus auch im Standard-Forum selbst erfolgen können.

Was mich beim Herrn Pipifax und seiner Argumentation allerdings massiv stört, ist der ständige, wenn jetzt auch etwas subtiler formulierte Vorwurf des Antisemitismus. Wenn er schreibt, ich hätte „auf solche Argumente“ in meinen Texten „*gar* nicht reagiert“, so ist das unzutreffend. Und wenn er mir dann unterstellt, das sei also „vielleicht nicht ganz zufällig“ geschehen, so unterstellt er mir weiterhin massiven Antisemitismus, nur quasi durch die Hintertür. Ich bin natürlich auf diese Argumente eingegangen, schon in meinem Brief an den Standard, der auch hier veröffentlicht ist (und der bisher völlig unbeantwortet blieb, noch nicht einmal eine Lesebestätigung hab ich bekommen), aber ich werde es, speziell für Pipifax und andere, die Wert darauf legen, mich in die Antisemitenlade zu legen, noch deutlicher sagen.

Zunächst einmal die „Verdrehung der Tatsachen“: Ich habe jetzt wohl schon mindestens zehnmal, hier sowie in Postings, die allerdings leider nicht lang gelebt haben, gesagt, dass mir die Behauptung, Fritz Haber hätte das Zyklon B erfunden, leidtut. Und sie tut mir vor allem (oder fast ausschließlich) deshalb leid, weil sie, wie der Pipifax allerdings mit einem gewissen Recht bemerkt, dazu geeignet erschien, antisemitischen Stereotypien Vorschub zu leisten. Ich habe auch schon erwähnt, dass mir zum Zeitpunkt meiner ersten Postings dieser spezielle, sich auf Fritz Haber und Zyklon B beziehende antisemitische Topos nicht bekannt war. Ein Versäumnis, vielleicht. Gut, ich denke, dieser Punkt sollte nun hinlänglich geklärt sein.

Beim nächsten Punkt wird’s allerdings schon schwieriger. Dort argumentiert der Pipifax nämlich, ich hätte „auch nach dem Nachweis, dass dies [also die irrtümliche Zuschreibung des Zyklon B zu Haber] der Fall war, auch weiterhin der betreffenden Person [Fritz Haber] ein Naheverhältnis zum tatsächlichen Entwickler [von Zyklon B, also Walter Heerdt] unterstellt“ (Einfügungen in eckigen Klammern von mir, nur zur Erläuterung). Also, ich glaub nicht, dass das eine großartige Unterstellung war. Pipifax macht nämlich hier einen Fehler, er bezieht sich auf die tatsächlich vorliegenden antisemitischen Klischees anstatt auf mein Posting und meine Intention. Er argumentiert nämlich, dass jede Behauptung, die Fritz Haber auch nur in irgendein Nahverhältnis zur Entwicklung von Zyklon B stellt, falsch und antisemitisch wäre. Und das ist ein Unsinn, möglicherweise sogar ein bewusst und tendenziös verwendeter Unsinn. Und zwar aus einem einfachen Grund: Pipifax tut so, als wäre Zyklon B immer schon zu nichts anderem bestimmt gewesen als zu seinem — fürchterlichen und ewig unverzeihlichen — Einsatz in den Vernichtungslagern der Nazis.
Aber Zyklon B wurde ja in Friedenszeiten zu einem ganz anderen Zweck entwickelt, nämlich als Schädlingsbekämpfungsmittel. Und Walter Heerdt, der Entwickler, war zunächst ein Mitarbeiter Fritz Habers, bis er 1920 die Leitung der DEGESCH, der „Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“, von Haber übernahm. Und das soll KEIN Nahverhältnis gewesen sein? Es war Habers Arbeitsgruppe, die zunächst das Zyklon A entwickelte, mit dem es allerdings technische Probleme gab, und dann — nach Bewältigung dieser Probleme — das Zyklon B. Das Patent wurde Heerdt zwar erst 1926 erteilt, aber rückwirkend für 1922, also nur zwei Jahre nachdem er die DEGESCH-Leitung von Haber übernommen hatte. Und die Bemerkung, es sei verwerflich, Haber ein „Naheverhältnis“ zu Heerdt und seiner Arbeit zu unterstellen, mutet angesichts der Biographie Habers, die ich schon an anderer Stelle ausführlicher dargestellt habe, doch seltsam an.
Was hätte denn der Chemiker und Kampfgasentwickler (Phosgen, Chlorgas) Haber, der bis an sein Lebensende von der Rechtmäßigkeit der Verwendung der von ihm entwickelten Gase überzeugt war, gegen Zyklon B als Schädlingsbekämpfungsmittel haben sollen, zumal es von einem seiner Mitarbeiter entwickelt wurde? Und ich bleibe im übrigen bei meiner Einschätzung, dass Haber aufgrund dieser Haltung und seiner Handlungen im Ersten Weltkrieg als Kriegsverbrecher einzustufen ist. Und er ist bis an sein Lebensende, 1934, nicht von dieser Haltung abgerückt.

Das führt mich schon zum Punkt c) im Pipifax-Posting, wo er schreibt, das es durchaus moralisch verwerflich sei, chemische Substanzen zu entwickeln, die auch, wie er sagt, zur Vernichtung von Menschen dienen können. Nur übersieht er dabei, dass Haber selbst die von ihm entwickelten chemischen Substanzen primär zu dem Zweck, Menschen zu vernichten, entwickelt hat. Noch einmal: im und für den Ersten Weltkrieg, ja, aber doch als Waffen und primär nicht zu einem friedlichen Zweck. Ich denke, dass die DEGESCH ja letztlich auch deshalb gegründet wurde, weil man dann eben für das noch aus dem Krieg vorhandene Know-How eine nicht-kriegerische Anwendung gesucht und gefunden hat.

Und wenn man alle diese Tatsachen zusammennimmt, dann muss man sich doch fragen, ob es nicht berechtigt ist, in der Tatsache eine bittere Ironie der Geschichte zu sehen, dass Zyklon B, ein von einem ehemaligen Mitarbeiter Fritz Habers entwickeltes Gas, Jahre später zur Massenvernichtung von Menschen eingesetzt wurde. Und nur zur Erklärung, was ich mit bitterer Ironie meine: Ich meine — bitter. In dieser Aussage ist nicht ein Funken Schadenfreude, ist nicht der mindeste Anklang einer Haltung, die da lauten könnte „Die Juden haben das Zyklon B selbst erfunden“ oder dergleichen rechtsextrem-antisemitischer Schwachsinn mehr. Alles, was ich damit ausdrücken wollte, war Trauer, Trauer über die Tatsache, dass letztlich auch hier ein „Versagen von Wissenschaftlern“ zu grauenhaften Resultaten geführt hat. Das können mir Pipifax und Wunderlich nun glauben oder nicht glauben. Es kommt mir nicht drauf an, einzelne Personen zu überzeugen, aber ich lasse mir nicht Motive unterstellen, die ich nicht habe, nie hatte und nie haben werde.

Nun komme ich zu der nächsten Unterstellung, nämlich, dass ich nicht unterscheiden könnte zwischen der „Entwicklung chemischer Substanzen, die auch zur Vernichtung von Menschen dienen können, und der ideologisch-wissenschaftlichen Unterfütterung von eugenisch und rassistisch motiviertem Massenmord“. Glaubt der das wirklich, der Pipifax? Unterstellt er mir, nachdem er das alles, was ich hier schreibe, gelesen hat (und wenn nicht, erreicht ihn diese Frage ja ohnehin nicht), ernsthaft, ich könnte diese beiden Dinge nicht unterscheiden?

Er verkennt, dass ich von Anfang an klar gemacht habe, wieso ich diese Fritz Haber/Kampfgas/Walter Heerdt/Zyklon B-Geschichte überhaupt gerade bei diesem Artikel gepostet habe. Einfach aus assoziativen Gründen, weil mir der Begriff „Versagen von Wissenschaftlern“ in dem Artikel auffiel und, wie ich schon in den Postings sagte, mir dazu ein anderes Versagen anderer Wissenschaftler einfällt. Der Begriff der Assoziation dürfte auch Pipifax geläufig sein. Woher dann also die Unterstellung, ich könnte zwischen diesen beiden Themen nicht unterscheiden?

Andererseits sind sie aber auch gar nicht so verschieden. Worum geht’s denn dabei? Es geht in beiden Fällen darum, dass Wissenschaftler (ob’s nun Biologen, Chemiker, Physiker oder was auch immer sind) sich von totalitären Regimen missbrauchen lassen. Natürlich ist es nicht dassselbe, ob man als Wissenschaftler (pseudowissenschaftliche) Argumente für eine verbrecherische Praxis (die Ermordung von Menschen mit Behinderung unter dem Titel „Vernichtung lebensunwerten Lebens“) liefert oder ob man mit (tatsächlich) wissenschaftlichen Methoden direkt ein Vernichtungsmittel herstellt. Oder ein potentielles Vernichtungsmittel, wie im Fall des Zyklon B, das eben ursprünglich zum Zweck der Schädlingsbekämpfung entwickelt wurde.

Mir ist schon klar, dass die Frage, ob mich diese Unterscheidung intellektuell überfordere, einfach nur dem Zweck der Polemik dient. Andererseits, vielleicht hält er mich ja wirklich für so blöd, der Pipifax. Dann kann ich ihm aber auch nicht helfen.

Dann ist da am Ende noch die Sache mit der „für bestimmte Lager typischen rhetorischen Strategie“. Da meint er die Tatsache, dass ich mir erlaubt habe, meine Freundschaft zu einer Reihe von Juden zu erwähnen und zwei Namen zu nennen. Dass ich mir erlaubt habe, auf die Tatsache hinzuweisen, dass ich aufgrund meiner Biographie ein eher unwahrscheinlicher Kandidat für das Label „Antisemit“ bin. Und jetzt wird er lachen, der Pipi. Er hat nämlich in diesem einen Punkt sogar ein bissel recht. Es war mir tatsächlich nicht sonderlich wohl dabei, das hinzuschreiben. Nicht weil ich glaube, dass mir meine jüdischen Freunde bös wären, die kennen mich nun wahrlich lang genug. Aber der Pipi hat recht, sowas sagen AUCH Leute, die tatsächlich Antisemiten sind. Die sagen auch Sachen wie: „Ja, wenn ALLE Juden so wären wie SIE!“. Aber das sag ich eben nicht. Ich wollte lediglich meine jüdischen Freunde quasi als Zeugen anrufen, aber sowas soll man nicht tun. Gut, ein Punkt (und eigentlich der einzige) für den Pipifax.

Zu guter Letzt wirft mir dieser Unbedarfte einen Mangel an Selbstreflexion vor. Ha! Wozu, glaubt er, schreib ich denn diesen Blog? Wozu schreibe ich alles, was ich sonst schreibe? Aber was soll’s: Der Mensch kennt mich nicht, weiß nichts von mir, hält sich aber für berechtigt, mir dies und das zu unterstellen. Zu Unrecht.

Und damit zurück ins Studio.

Fritz Haber, Giftgas, „Der Standard“, Meinungsfreiheit und ein paar arrogante Schnösel

Jetzt muss ich doch, quasi als erste Tat an meinem 46. Geburtstag, noch schnell die Geschichte von meinem partiellen Rauswurf aus „derstandard.at“ erzählen.

Ich bin ja bei denen schon öfter angeeckt. Dazu muss man wissen: Der Standard verwendet zur Überwachung und Filterung der Postings in seiner Online-Ausgabe eine Software, den sogenannten Foromaten. Der verwendet irgendwelche Algorithmen um potentiell bedenkliche Postings herauszufiltern. Und die werden den diensthabenden RedakteurInnen zur Kontrolle vorgelegt. Die entscheiden dann, ob sie gebracht werden oder nicht. Vielleicht gibt’s im Hintergrund noch eine Art zweite Ebene, die heikle Entscheidungen absegnet, weiß ich nicht.

Faktum ist, dass schon die bloße Zeitverzögerung, die durch dieses System entsteht, und die gerade bei spätnächtlichen Postings locker bis zum nächsten Vormittag oder sogar Mittag dauern kann, die Kommunikation in diesen Foren teilweise erschwert bis verunmöglicht. Niemand sitzt schließlich 24 Stunden ununterbrochen am Computer (nicht einmal ich…)



Aber das ist nicht alles. In den Forenregeln des Standard steht „Jede/r User/in hat das Recht auf freie Meinungsäußerung.“ Und dann gibt’s z.B. folgende Absätze:

  • Diskriminierende Beiträge werden nicht toleriert. Insbesondere verboten sind rassistische, sexistische, antisemitische, eine Religion oder sexuelle Identität herabwürdigende sowie sonstige (kulturelle, nationale, …) Gruppen pauschal verurteilende Postings. Ebenfalls nicht akzeptiert wird die Verbreitung von Inhalten, die gegen Teile der Bevölkerung hetzen oder zur Gewalt aufrufen, Pornographie sowie menschenverachtende oder gegen die guten Sitten verstoßende Beiträge. Das umfasst auch Inhalte, die über von den UserInnen gesetzte Links zu erreichen sind.
  • Schimpfworte, Fäkalsprache, rohe, doppeldeutige oder obszöne Sprache erschweren eine sachliche Diskussion – derartige Postings werden daher im Normalfall gelöscht. Nicht toleriert werden auch Inhalte, die für Minderjährige ungeeignet oder anstößig sind oder dafür gehalten werden können.
  • Ebenfalls nicht akzeptabel ist es, den Dialog verschiedener UserInnen wissentlich zu stören, z.B. durch Belästigungen oder durch die Schaffung von Feindbildern oder Feindseligkeiten.

Und so weiter und so fort. An und für sich könnte man das ja durchaus unterschreiben. Das Problem ist nur: sie halten sich nicht daran. Was nämlich passiert, ist in der Praxis eine reichlich willkürliche Meinungszensur. Auf politisch Rechtsstehende schimpfen darf man eher ungehemmt, wogegen ich auch nichts habe. Wenn man Linke im Standard kritisiert, wird’s schon schwieriger, durchzukommen.

Ganz unmöglich sind z.B. Postings zum Thema „linker Antisemitismus“. Das verstößt bei den dortigen Redakteuren gegen so viele Glaubenssätze, dass solche Postings grundsätzlich nicht das Licht der Welt erblicken. Dabei wäre das ein Thema, dem man einmal wirklich Aufmerksamkeit schenken sollte.

Und à propos Antisemitismus, da bin ich ja schon bei meiner Geschichte. Da ich das Ganze heute schon in einem langen Brief an die Redaktion formuliert habe, stelle ich den einfach hier herein:

16. Juli 2008

Sehr geehrte Redaktion des STANDARD und des Online-STANDARD!

Seinesgleichen geschieht. Aber ab und zu wird’s dann doch unerträglich. So geschehen in den letzten 24 Stunden. Es geht um ein an sich schon bekanntes Phänomen, nämlich die Zensur, die aufgrund willkürlicher, unklarer und unverständlicher Prinzipien bei den Postings zu den Standard-Online-Artikeln ausgeübt wird. Und die ich in diesem speziellen Fall doch etwas ärger und ausufernder finde als sonst, wo es sich oft ja nur um die üblichen Hackeleien zwischen mehr oder weniger schlecht aufgelegten Standard-Lesern handelt.

Hier geht es aber, meiner Ansicht nach, doch um deutlich mehr. Es geht schlicht und einfach um die Frage, ob man gewisse Dinge in diesem Land einfach nicht sagen darf, ohne dafür geprügelt zu werden. Ich möchte das nicht auf sich beruhen lassen, und Sie werden gleich verstehen, warum.

Der Anlass war ein am 14. Juli 2008 um 17:09 online erschienener Artikel mit dem Titel „Deutsche Humangenetiker räumen ‚schwere Schuld’ an Nazi-Euthanasie ein“ (Artikel-ID 34 14 216, Ressort Wissenschaft). Darin wird von einer Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik berichtet, in der sich die Mitglieder zu ihrer historischen Verantwortung und zur Absage an jede Form von Diskriminierung aufgrund ethnischer Merkmale oder genetisch bedingter Krankheiten und Behinderungen bekennen. So weit so schön, ich bin voll d’accord. Und das den Euthanasiemorden zugrunde liegende Gesetz vom 14. Juli 1933 wird, zurecht, auch als ein „historisches Dokument des Versagens von Wissenschaftlern“ bezeichnet.

So weit die Vorgeschichte. Bei dem Ausdruck „Versagen von Wissenschaftlern“ fiel mir ein anderer Wissenschaftler ein, über dessen Rolle bei einem anderen Massenmord ich vor kurzem gelesen hatte. Und zwar nicht in irgendeiner dubiosen Quelle, sondern im zweiten Band der ausgezeichneten Karl-Kraus-Biographie von Edward Timms. Dort wird auf den Seiten 70 bis 76 Kraus’ publizistischer Kampf gegen die Grausamkeit der Giftgasangriffe im Ersten Weltkrieg geschildert. Und dabei musste natürlich ein Name fallen: Fritz Haber.

Seines Zeichens Chemiker, glühender deutscher Nationalist und Entwickler von Chlorgas, Phosgen und derlei Kampfstoffen, die an der Front durch deutsche Gasangriffe wohl zehntausende Tote und schwer innerlich Verletzte hinterlassen hatten. Der Tod durch diese Art von Gasen, die letztlich die Atemwege bis tief in die Lunge verätzen, ist unvorstellbar schrecklich, jenseits alles Vorstellbaren. Und Haber war sogar persönlich an der Front, um einige der Giftgasangriffe zu überwachen. Zum Beispiel in der Zweiten Schlacht von Ypres am 22. April 1915. Seine Frau, Clara Immerwahr, die vehement gegen seine Arbeit an Kampfgasen war, nahm sich einige Wochen danach mit Habers Militärwaffe das Leben. Sie starb am nächsten Morgen, und er fuhr noch am selben Tag an die russische Front, um dort einen weiteren Giftgasangriff zu überwachen. (Es tut übrigens nichts zur Sache, dass auch die Franzosen mit Giftgas experimentiert haben und dass dann auch die Engländer Giftgas verwendeten. Mir ging’s nicht darum, wer angefangen hat, mir ging’s darum, wozu Wissenschaftler fähig sind.)

Haber ist sein Leben lang nicht von der absurden Behauptung abgewichen, seine Giftgase seien eine „humane Waffe“. Wie zur Bestätigung dieser Absurdität erhielt er 1918 auch noch den Nobelpreis für Chemie. Für mich ist dieser Mann ein Kriegsverbrecher und ein eklatantes Beispiel für ein „Versagen von Wissenschaftlern“. (Er wurde übrigens nach dem Ersten Weltkrieg von den Siegermächten auch eine Zeit lang als Kriegsverbrecher gesucht, aber nie verhaftet.)

Haber war Jude und musste 1933 – obwohl er davor bereits zum Christentum konvertiert war, um Verfolgungen abzuwenden – Deutschland verlassen, was ihn tief traf. Er soll in der Emigration, in der er 1934 auch starb, gesagt haben, das einzige, was ihn in dieser traurigen Situation tröste sei die Tatsache, dass Deutschland sich wieder erhebe.

Nun war Haber 1919 auch Leiter der „Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“ (DEGESCH), ab 1920 war der Leiter der DEGESCH ein gewisser Walter Heerdt, ein früherer Mitarbeiter Habers. Und dieser Heerdt entwickelte Zyklon B, also jenes Gas, das später in den Nazi-Konzentrationslagern für den Massenmord verwendet wurde. Auch einige Verwandte Fritz Habers kamen im Holocaust um.

Und diese ganze Geschichte schien mir doch – eben mit dem Aufhänger „Versagen von Wissenschaftlern“ im weiteren Sinn zu dem erwähnten Artikel zu passen, und deshalb habe ich dazu etwas über Haber gepostet. Ich machte ursprünglich einen sachlichen Fehler, nämlich zu behaupten, Haber selbst habe Zyklon B entwickelt, was so eben nicht stimmt – ich habe das auch sofort, als ich es erkannte, in einem weiteren Posting korrigiert. Und ich erlaubte mir zu bemerken, dass es doch eine bittere, makabre Ironie der Geschichte sei, dass ausgerechnet die Arbeitsgruppe rund um Haber, der eben Jude war, das Zyklon B entwickelt hat.

Na, mehr hab’ ich nicht gebraucht. Zunächst einmal hat es Stunden gedauert, bis diese Postings erschienen sind. Nun, das ist man ja leider beim Standard gewöhnt. Aber kurz nachdem sie endlich erschienen waren, waren sie alle wieder weg. Das Spiel ist dann noch ein zweites Mal in der selben Nacht gelaufen. Worauf ich dann in einem weiteren Posting wissen wollte, wer sich denn wohl über meine Postings beschwert hätte und warum (denn einmal erschienene Postings werden ja wohl doch nur aufgrund von Beschwerden wieder entfernt). Daraufhin trat – am nächsten Vormittag – ein gewisser „Fritz Wunderlich“ auf den Plan und beschuldigte mich des Antisemitismus, des Rechtsextremismus und des Revisionismus. Es sei eine absichtliche, verhetzende Lüge, dass Haber das Zyklon B entwickelt habe, die gern von Neonazis verbreitet werde. Wie ich bereits ausgeführt habe, war es von meiner Seite lediglich ein Irrtum, und da es ja schließlich Habers unmittelbares Umfeld war, in dem dieses Giftgas entstanden ist, finde ich auch, dass ich von der Wahrheit nicht so weit entfernt war. (Außerdem wusste ich nichts davon, dass das eine Geschichte ist, die in fälschlicher Form von Neonazis verbreitet wird; ich habe unter anderem auch gepostet, dass ich mir – hätte ich das gewusst – vielleicht doch überlegt hätte, ob ich das überhaupt posten soll; aber auch das wurde, wie alle meine Postings zu dem Artikel, gelöscht oder gar nicht erst gebracht.)

Mir Antisemitismus, Rechtsextremismus oder gar den Versuch zu unterstellen, den Holocaust in irgendeiner Weise verharmlosen oder gar leugnen zu wollen, ist völlig absurd, und ich weise derartige Behauptungen auf das Schärfste zurück. Ebenso absurd ist es, mir zu unterstellen, ich hätte absichtlich behauptet, Haber selbst sei der Erfinder von Zyklon B, weil ich damit sagen wollte, „die Juden seien selber schuld am Holocaust“. Das ist so eine irrsinnige Infamie und so grundfalsch, dass in einigen weiteren Postings erklären wollte, was meine tatsächliche Intention war. Das habe ich dann auch versucht, inzwischen war es wieder Abend geworden. Kurz darauf waren plötzlich ALLE meine Postings wieder gelöscht, und nicht nur das: auch mein Postingname „jemenfous“ war plötzlich nicht mehr verfügbar. Und das mit der fadenscheinigen Ausrede, es würden jetzt die Postingnamen auf „eine neue Basis gestellt“ und meiner sei jetzt leider schon vergeben. Von wegen. Es handelt sich hier um einen glatten Fall von Meinungszensur, in dem mir ohne dass ich irgendetwas Böses getan hätte, schlicht und einfach der Mund verboten werden soll.

Ich bin mein Leben lang für Demokratie und gegen jede Form des Totalitarismus, von rechts oder von links, eingetreten. Ich hatte als Jugendlicher, vor allem zwischen 13 und 16, fast ausschließlich jüdische Freunde, ich habe mich immer schon mit der Geschichte des Judentums und mit dem Thema Zweiter Weltkrieg und Holocaust befasst. Ausgerechnet mir Antisemitismus und Rechtsextremismus zu unterstellen, ist ein geschmackloser Unsinn.

Dennoch wurde ich quasi aus „derstandard.at“ hinausgeworfen, jedenfalls in meiner Identität als „jemenfous“. Während „Fritz Wunderlich“ und „pipi pipifax“ [auch so einer, der auf mich losgegangen ist] sicher munter weiterposten dürfen. Und vielleicht auch noch glauben, Sie hätten’s einem „Nazi“ so richtig gezeigt.

Da es so was wie ein allgemeines Standard-Forum nicht gibt und mein ursprünglicher Nick nicht mehr geht, bleibt mir also nichts anderes übrig, als auf diesem Weg den Sachverhalt darzustellen. Vielleicht ist es ja möglich, den beiden genannten Postern diesen Brief zur Kenntnis zu bringen, mit schönen Grüßen von mir und dem guten Rat, das nächste Mal statt auf Zensur auf Argumente und vor allem auf Zuhören/Lesen zu setzen.

Und der Online-Redaktion kann ich nur zum wiederholten Mal raten, ihre Zensurpolitik, die ich für fragwürdig und gefährlich – und letztlich eines demokratischen Mediums in einer demokratischen Gesellschaft unwürdig – halte, zu überdenken. Hätte man die Postings nicht gelöscht, wäre die Sache längst klargestellt. So muss ich lange Briefe schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

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So weit also mein Brief an die noblen Herrschaften vom Standard bzw. Online-Standard (man hat mich schon bei einer früheren Gelegenheit darüber belehrt, dass letzteres eine eigene Redaktion sei, was insofern perfid ist als es die Möglichkeiten, sich zu beschweren, einengt, denn einer schiebt dann alles auf den anderen.

Ich kann es mir auch nicht verkneifen, Gerlinde Hinterleitner, ihres Zeichens Chefin dieser Online-Redaktion zu zitieren, die mir auf eine frühere Beschwerde in Sachen Zensur doch glatt schrieb (wörtlich):

Nicht jede unserer Entscheidungen mag richtig sein, die redaktionelle Leistung beim Moderieren der Foren bei über 8.000 Postings täglich ist enorm und wird geleitet von dem Wunsch sinnvolle, interessante und sachliche Diskussionen zu ermöglichen. Es geht der Redaktion in keinster Weise darum Zensur auszuüben. Wie Sie auch an Ihren eigenen Zahlen ablesen können: Bisher sind 261 Postings von Ihnen veröffentlicht worden und 25 nicht.

Mit anderen Worten: Die Frau Hinterleitner versucht mir Ihre Behauptung, dass es ihrer Redaktion keineswegs darum gehe, Zensur auszuüben, dadurch plausibel zu machen, dass sie mich darauf hinweist, dass ja bei mir (übrigens war das damals ein anderer Postingname) diese Zensur „nur“ in 25 Fällen ausgeübt wurde, in 261 anderen aber nicht. Rechenexempel: wie viel Prozent von der Gesamtzahl (261+25=286) wurden also zensuriert? 25/286×100=8,74%. No? Und das ist keine Zensur?

Das klingt ja fast so als müsste man dankbar dafür sein, dass der Standard seine Postings überhaupt bringt. Als ob das ein Privileg und das Zensurieren was ganz Normales wäre. Und man mag es mir glauben oder nicht: Ich schreibe keine rassistischen, verhetzenden, antisemitischen oder sonstwie verpönten Postings. Ich lasse mir nur selbständiges Denken nicht verbieten. Und insofern sind fast 9% zensurierte Postings um 9% zu viel.

Umgekehrt habe ich mir jetzt die Postings der beiden Herren (nehme ich an), „Fritz Wunderlich“ und „pipi pipifax“, soweit das über Google möglich war, genauer angeschaut. Bitte, die strotzen nur so von schnöselhafter Arroganz. Da werden permanent andere Leute herabgewürdigt, beleidigt, belehrt, als Idioten hingestellt. Vom wunderlichen Fritz weiß ich übrigens, dass er Jude ist. Warum ich das hier erwähne? Weil ich aus diesen Vorgängen, wenn ich tatsächlich ein Antisemit wäre, schon längst eine Verschwörungstheorie gebastelt hätte. Aber ich bin eben kein Antisemit, war nie einer und werde nie einer sein.

Und so sehr ich das Wort „Antisemitismuskeule“, das gerne von Rechten und Nazis verwendet wird, ablehne, so sehr muss ich doch andererseits sagen, dass es wirklich Versuche gibt, kritisch denkende Menschen (womit ich natürlich nicht Rechte und Rechtsradikale meine; das müsste schon durch die Verwendung des Verbs „denken“ klar werden) mit dem Vorwurf des Antisemitismus zum Schweigen zu bringen. Das gilt, in einer anderen Dimension auch für Kritik am Vorgehen Israels, insbesondere den Palästinensern gegenüber. Aber das ist ein anderes Wespennest, in das ich heute, an meinem Geburtstag, der nun schon über eine Stunde alt ist, nicht stechen will. Das hebe ich mir für ein andermal auf.

Sollten die beiden erwähnten Schnösel jemals diese Zeilen lesen, so sei es ihnen unbenommen, ihre Kommentare dazu zu hinterlassen. Ich werde sie dann löschen, wenn’s mir denn passt: nach meinen Forenregeln. Gute Nacht allerseits.